Ich habe mich vor einiger Zeit bei Blogg dein Buch angemeldet. Das ist eine Seite, da gibt es kostenfrei Bücher zur Rezension. Ich lese ja bekanntlich gern und entdecke für mich auch gern Neues, daher dachte ich, das sei genau das Richtige für mich. Meine ersten Bewerbungen um Bücher scheiterten allerdings. Ich bekam nie den Zuschlag. Also schaute ich mal, welches der Bücher bisher wenig Bewerber für Rezensionen hat. Und so kam ich zu TRISOMIE SO ICH DIR von Dirk Bernemann, erschienen im Unsichtbar Verlag. Und ganz ehrlich, wenn ich dieses Buch gelesen hätte, ohne darüber schreiben zu können, ich wüsste nicht was passiert wäre …
Bernemanns Buch berichtet von drei Protagonisten, deren Leben verschiedener nicht sein kann und doch eines gemeinsam hat: Keiner von Ihnen ist auch nur eine Spur glücklich. Da ist Roy, der mit seinen 28 Jahren von niemandem für voll genommen wird. Warum? Weil er buchstäblich unter seiner Trisomie 21 leidet. Und zwar nicht wegen der Behinderung an sich, sondern weil sein Vater ihn tagtäglich mit diesem „Du-bist-schuld-Blick“ ansieht, seine Mutter ihn mit einer überzogenen Fürsorge erdrückt, aber keine wirkliche Liebe für ihn hat, er einer Arbeit nachgeht, die eben nur eine Beschäftigungsmaßnahme ist, weil jeder sofort sieht, dass mit ihm etwas nicht stimmt …
Solveig ist jung, schön und studiert Sozialpädagogik. Sie hält sich an Illusionen fest und jagt ihnen so lange hinterher, bis sie sie aus den Augen verliert und eine triste Leere zurückbleibt. Sie ist 26 und kann sich nicht entscheiden tatsächlich erwachsen zu werden. Solveig müsste sich einen Weg bahnen. Aber dessen ist sie müde. „Das Leben als solches und die darin stattfindende Unentschlossenheit und Desorientiertheit machen es schon schwer genug …“
Ingeborg ist alt. Sie pflegt ihren Hermann, der eines Tages mit dem Kopf in die Suppe fiel und sich von diesem Schlaganfall nicht wieder erholte. Ingeborg führte ein bürgerliches wenig aufregendes Leben mit ihrem Hermann. Hermann dachte für sie beide. Manchmal ist Liebe einfach nur Gewohnheit und so in der Form alles, was man braucht. Beide waren nicht unglücklich, sondern sogar froh über die nette Normalität ihres Lebens. Und dann kommt der Tag an dem Hermann stirbt …
Dirk Bernemanns Aufgabe ist es nun, diese drei Leben miteinander zu verbinden. Er tut dies sehr wortgewaltig. Manchmal ist die Gewalt seiner Worte mehr als spürbar. Er bringt Sätze zu Papier, die tatsächlich in der Lage sind dem Leser ins Gesicht zu schlagen. Oder dem System, wie man es will. Er lässt zum Ende jedes Kapitels Gott resümieren. Und der liebe Gott hat oft mehr als die Nase voll von dem was er da sieht.
Laut eigener Aussage findet Bernemann „Deutschland als Institution Kacke“ und das merkt man seinem Buch auch an. Da ist so viel Frustration angesammelt, dass ich mich als Leserin erst mal sortieren musste. Und das ist grundsätzlich eine gute Sache, wenn ein Buch es schafft, dass man sich selbst neu verortet im Universum.
Er spricht hier als Autor über drei große gesellschaftliche Themen: das Behindert-sein, das Alt-sein und das Jung-und-Frustriert-sein.
Außerordentlich berührt hat mich dabei seine Darstellung des Roy. Nun habe ich als Sonderpädagogin meine Erfahrungen und auch einen Anspruch an das Thema Behinderung, dem Dirk Bernemann absolut gerecht wird. Ich halte nichts davon, jeden Behinderten wie „doof“ zu behandeln und anstatt ihm erst mal alles zuzutrauen ihm gleich die Hälfte des Lebens abzusprechen und zu verbauen. Bernemanns Roy redet nicht, weils ihm nicht bringen würde. Klar könnte er das! Auch ist es Roy bewusst, dass seine Mutter sich oft gewünscht hat, dass er einfach einschläft und stirbt. Er weiß, dass sie ihn als Belastung empfindet! Wir reden oft schon vor unseren Kindern über Dinge, die sie vermeintlich nicht verstehen, bei Behinderten reden wir ganz normal über sie, als seien sie nicht da. Als verstünden sie eh nicht, was in der Welt passiert. DAS IST FALSCH. Wir müssen aufhören alles reparieren und gleich machen zu wollen. Roy ist gut, so wie Roy ist. Und ja, Roy ärgert sich darüber, wenn der Busfahrer ihn gar nicht erst nach einer Fahrkarte fragt. Und mit so kleinen Dingen fängt es an.
Am wenigsten trifft mich das Leben von Solveig. Ich selbst bin das totale Gegenteil. Habe immer gewusst was ich will. Und ich hab auch immer gern etwas getan, damit ich es bekomme. Solveig ertrinkt in ihrem Selbstmitleid. Das macht mich eher wütend als mitleidig. Auch Bernemanns Gott-Kommentar zu ihren Kapiteln fällt recht ungnädig aus. Aber gnädig ist sein Gott eh nicht wirklich. Der sitzt lieber an seiner Playstation.
Mein Fazit ist ein gemischtes. Ich bin durchaus froh das Buch gelesen zu haben, auch wenn es mir oft eine Spur zu wütend und die Sprache einen Tuck zu roh war. Bernemanns Themen sind aber so gewaltig, dass sie in jedem Fall bedeutsam sind. Bernemann traut sich Dinge an- und auszusprechen, über die „man nicht redet“. Er ist auch ein guter Worteerfinder, was seinen ganzen Schreibstil sehr modern macht. Insgesamt hätte ich in der ganzen Sache gern etwas mehr Futter gehabt, etwas mehr Geschichte, die es erlaubt mehr Nähe zum Buch zu bekommen. Bei Roy gelingt das schon sehr gut, die Frauen haben mich nicht so erreichen können. Ein Buch für Erwachsene aus dem Unsichtbar Verlag.
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Dirk Bernemann: Trisomie so ich dir Unsichtbar Verlag, 2011. 188 Seiten - 12,95 Euro. |
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Anspruch |
Humor |
Sprachgewalt |
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Alters-/Leseempfehlung: Nur für Erwachsene, die gern außergewöhnliche Bücher lesen und sich nicht vor schwierigen Themen scheuen. |